1.6.2016 – 2.6.2016
Die malaiische Familie von Emily und Nathalie nimmt mich herzlich auf. Ich beziehe mein Zimmer im untersten Stockwerk und stelle erstaunt fest, dass es noch kleinere Zimmer als in Hongkong gibt. Hier passt gerade noch mein Rucksack rein, ansonsten ist das Zimmer mit Schrank und Bett voll – nein nicht ganz, ein kleiner Ölradiator gegen die Kälte ist auch noch da. Ich bin dankbar! Ich werde mit unzähligen Tips versorgt was man alles machen kann und ehe ich mich versehe fängt Emily an einen Zeitplan aufzustellen. Hilfe! So organisiert mag ich gar nicht sein! Ich beschließe am nächsten Morgen mit der kostenlosen Stadtführung anzufangen, die mir wärmsten empfohlen wird. Zuerst muss ich aber dringend Schlaf nachholen.
Um 10:30 Uhr soll die kostenlose Stadtbesichtigung starten. Ich besorge mir eine Opal Card, die das Busfahren in Sydney erleichtert und bis zu 20% vergünstigt. Die Karte wird mit einem beliebigen Geldbetrag aufgeladen und man hält sie beim Ein- und Aussteigen vor den Kartenleser. Der entsprechende Betrag wird dann abgebucht. Das ganze ist auf maximal 15AUD am Tag begrenzt. Darüber hinaus fährt man gratis. Die Busse fahren in hoher Frequenz und ich muss auch nicht lange warten bis die Reise beginnt. Mein Ziel ist die Haltestelle Museum im CBD.
Der Sammelpunkt für die Tour ist zwischen Town Hall und St Andrew’s Cathedral. Ich bin mal wieder viel zu früh dran und besichtige zunächst Darling Harbour, eine in den 1990er Jahren neugestaltete Naherholungszone. Vom 3D-Kino bis zum Hard Rock Café gibt es hier allerhand modernen Schnickschnack. Nachdem ich mich ein wenig am Hafenbecken gesonnt habe kehre ich zurück zum Sammelpunkt. Mist, immer noch zu früh. Also mache ich mal was verrücktes und fange an die St Andrew’s Cathedral zu besichtigen. Der Latten-Jupp wird schon nicht von der Wand fallen.
Ich bin noch keine fünf Minuten in der ansonsten hübschen Kathedrale da steht auch schon ein freundlicher älterer Herr neben mir, der mit mir über Gott sprechen will. Das sagt er natürlich nicht sofort sondern erklärt mir erstmal die Heiligtümer die hier zu bestaunen sind. Dazu reicht er mir ein Faltblatt welches diese auflistet und beschreibt. Ich tue interessiert (Fehler!) und schon zeigt er mir eine Broschüre mit dem Titel – Der wahre Jesus. Er fragt mich, ob er mir erläutern soll worum es darin geht. Hastig entreiße ich ihm die Broschüre und erkläre ihm, dass ich das in aller Ruhe zuhause lesen werde. Er ist glücklich und ich genervt.
Mittlerweile sind auf dem Platz die Tourguides angekommen und verteilen schonmal ihre Stadtpläne. Teilnehmer sind auch reichlich vorhanden (ca. 50) und so werden zwei Gruppen gebildet, angeführt von Ross und Justine. Beide sind Gründer und Inhaber dieser genialen Geschäftsidee die vor 7 Jahren entsandt. Die Tour ist kostenlos, man darf am Ende selbst entscheiden was einem der Spaß Wert war und diesen Betrag dann überreichen. Da die Tour hier startet erfahre ich auch gleich, dass ich in der ältesten Kathedrale Sydneys bekehrt werden sollte – na wenn das keine Ehre ist.
Zur gegenüberliegenden Town Hall gibt es auch ausführliche Erklärungen, die Justine sehr lebendig und witzig ausführt. So z.B., dass hier früher ein Friedhof war und die faulen Siedler nicht wirklich tief graben wollten. Nach einigen Jahren roch es dann so stark nach Verwesung, dass man die sterblichen Überreste wieder ausgrub und einen neuen Friedhof an anderer Stelle anlegte.
Nur wenige Meter entfernt, auf der anderen Straßenseite der Druitt Street liegt das Queen Victoria Building. Ein riesiges viktorianisches Gebäude aus dem Jahre 1898 das heute als Einkaufszentrum dient. An der Südseite findet sich eine Statue der Königen Victoria, die sich dort in ihren Thron fläzt. Justine erklärt uns, dass die Statue bis 1947 vor dem irischen Parlament in Dublin stand. Dort ward sie aber nicht mehr gerne gesehen und deswegen an Sydney verschenkt. Im Inneren gibt es zwei bemerkenswerte Uhren zu sehen, eine Englische und eine Australische (Details bitte bei Wikipedia nachlesen – ich hätte nämlich die toten auch nicht sehr tief begraben!).
Es geht weiter, unter anderem zum Rum-Hospital (Sydney Hospital), The Mint (erste staatliche Münzprägeanstalt im Südflügel des Hospitals) bis zum Martin Place, Sydneys größter Fußgängerzone und Drehort bekannter Filme wie z.B. Matrix. Hier wird im Film gerne New York vorgegaukelt, da dürfen die Autos auch mal rechts fahren und das Steuer links haben. In einer kleinen Gasse hängen leere Vogelkäfige und aus Lautsprechern wird Vogelgezwitscher eingespielt. Auf dem Boden sind Schilder eingelassen mit lateinischen Vogelnamen. Jeder Käfig und jeder Name steht für eine ausgestorbene Vogelart in Australien. Es sind die kleinen Dinge die diese Tour so interessant machen.
Endlich sehe ich auch ansatzweise die Harbour Bridge, neben der Oper das Wahrzeichen von Sydney. Wir besichtigen noch The Rocks, das Viertel wo alles begann mit der Besiedlung Australiens. Die Tour endet nach knapp drei Stunden im Hafen Circular Quay, sie hat sich wirklich gelohnt und ist uneingeschränkt empfehlenswert. Geldscheine wechseln den Besitzer und ich finde die Geschäftsidee genial. Keiner zahlt weniger als 20AUD, manche auch 50AUD.
Befreit vom Gruppenzwang begutachte ich nun die Harbour Bridge und das Opernhaus auf der anderen Seite des Hafenbeckens, in dem zahlreiche Fähren anlegen und auch ein gigantisches Kreuzfahrtschiff vertäut ist. Der Hunger treibt mich aber zunächst in ein Restaurant und ich werde mit einem köstlichen Straßburger und einem kühlen Bier beschert. So gestärkt nimmt mich der Zauber von Sydney gefangen. Die Sonne scheint und das Opernhaus erstrahlt in ihrem Licht.
Die Menschenanzahl ist an diesem Donnerstagmorgen übersichtlich und ich sehe mir das einzigartige Opernhaus aus der Nähe an. Es ist in der Realität etwas kleiner als man es auf Bildern vermuten mag, aber dennoch beeindruckend. Die Außenhaut besteht aus Kacheln (Fliesen passt eher). Das sieht aus der Nähe betrachtet eher seltsam aus, dämpft aber nicht die Faszination. Die Harbour Bridge steht dem in nichts nach. Unglaublich groß und beeindruckend. Ich bin ein wenig verliebt in Sydney – dagegen haben alle bereits angesehenen Städte keine Chance. Sydney ist jetzt schon mein Favorit.
Müde von der langen Wanderung durch das faszinierende Sydney kehre ich vorerst zurück in meine Besenkammer. Ich ruhe eine Weile, doch dann zieht es mich zurück in die Innenstadt. Es ist VIVID in Sydney, das Licht- und Musikfestival. Überall in der Stadt sind Lichtinstallationen aufgestellt, die für ein spektakuläres Nachterlebnis sorgen. Voller Vorfreude nehme ich den nächsten Bus der anhält und fahre los. Recht bald merke ich, dass es keine schlechte Idee ist vorher zu gucken wo die Busse hinfahren. Ich lande am Bahnhof und darf für meine Dummheit büßen, in dem ich quasi die ganze Strecke vom Vormittag (und noch mehr) wieder laufen darf.
Es ist fast unbeschreiblich was hier gerade stattfindet. Überall wird etwas angestrahlt, bunte Säulen sind aufgebaut, vor denen Fässer stehen. Schlägt man auf diese Fässer ändern sich die Farben der Säulen. Je mehr Leute trommeln desto bunter und verrückter wird das Ganze. Fassaden werden in grelle Farben getaucht und die Straßen sind voll mit Menschen, die staunen, lächeln, agieren, reagieren und alle irgendwie glücklich aussehen. Sydney geht ins Herz. Ein Gebäude im Hafen wird mit einer animierten Lightshow illuminiert. Die Effekte sind atemberaubend. Doch all das wird noch durch die einzigartige Ausleuchtung der Oper übertroffen. Auch hier sind die Effekte animiert, so dass geometrische Formen, sich ändernde Farben und verlaufende Effekte auf die Außenhaut der Oper projektiert werden. Musik fliegt durch die Nacht und eine Hippieigruppe zieht singend ihre Kreise vor dem Opernplatz. Man möchte nie wieder weg.
Dennoch reiße ich mich irgendwann los und finde den Weg heim. Der Schrittzähler bleibt bei 23.938 stehen.
Lange Tage und angenehme Nächte – hier gibt es sie!